Über die Ganzheitliche Atemtherapie


Grundlagen
 
Die Ganzheitliche Atemtherapie basiert u.a. auf den Lehren von Ilse Middendorf und Cornelis Veening, auf allgemeinen psychotherapeutischen sowie auf Einflüssen verschiedener östlicher Lehren. Ganzheitlich heißt sie, weil es sich um einen integrativen Ansatz handelt, der Einseitigkeiten einzelner Lehren zu vermeiden sucht und den Menschen als leib-seelische Einheit betrachtet.


Theoretisch-psychologische Basis
 
Die Ganzheitliche Atemtherapie geht davon aus, dass wir das Leben durch zwei grundlegende psychische Funktionen (Tätigkeitsformen) erfahren: Empfinden und Denken. Empfindungen künden von leiblichen und materiellen Vorgängen, sie sind daher auch für das Gewahrwerden unseres Atems verantwortlich. Die mannigfachen Prozesse des Denkens, die der weiteren Informationsverarbeitung dienen, gehören demgegenüber zum Geistigen. Die Intuition, die in der Atemtherapie eine besondere Rolle spielt, wird als der spontane, Einfälle und Ideen produzierende Aspekt des Denkens verstanden. Das Fühlen, welches gewöhnlich auch als Grundfunktion betrachtet wird, besteht gewissermaßen aus beiden Funktionen, aus geistigen Werturteilen (Denken) und werthaltigen Empfindungen, den Gefühlsempfindungen. Die althergebrachte Unterscheidung zwischen Körper, Seele und Geist kann unseres Erachtens den drei Grundformen aller Bewusstseinstätigkeit Empfinden, Fühlen und Denken zugeordnet werden. Diese Grundfunktionen sind nicht nur gleichzeitig aktiv, sie beeinflussen sich auch wechselseitig. So ist für unsere therapeutische Arbeit von besonderer Bedeutung, dass Empfindungen unmittelbar Gedanken oder Gefühle auslösen.


Beschreibung und Begründung des atem- und
körpertherapeutischen Ansatzes

 
Die Ganzheitliche Atemtherapie beinhaltet sowohl Einzel- als auch Gruppenarbeit. In beiden Formen spricht sie zunächst primär die Empfindung an, wodurch das reale körperliche Sein in der momentanen Gegenwart bewusst wird. Die Aufmerksamkeit der Klientin wird auf leibliche Veränderungen gelenkt, um ein intensives Erleben der augenblicklichen Befindlichkeit zu ermöglichen. In der Einzelbehandlung richtet sich die Aufmerksamkeit der Therapeutin in besonderem Maße auf die Atmung der Klientin, denn diese reagiert sehr sensibel auf Empfindungen, Gefühle und Gedanken. Wenngleich der Atem nicht der alleinige Mittelpunkt der Ganzheitlichen Atemtherapie ist, bildet er doch ein zentrales diagnostisches und therapeutisches Kriterium, welches von der Therapeutin sorgfältig wahrgenommen wird und ihre Vorgehensweise leitet.
Erstrebt wird eine ruhige, natürliche Atembewegung als Ausdruck einer stabilen und hingabefähigen Persönlichkeit. Abweichungen davon sind Hinweise darauf, dass problemhafte Prozesse im Menschen ablaufen. Darüber hinaus steht der Atem oft in Diensten von Abwehr- oder Verdrängungsmechanismen. Dann zeigt er, wie sehr sich der Betreffende von gewissen seelischen Inhalten bedroht fühlt. Das Bedrohtheitsgefühl ist in diesen Fällen so stark, dass ein beständiger körperlicher Energieaufwand betrieben wird, um sich zu schützen. Von einem solchen Aufwand künden gleichermaßen körperliche Bewegungsstörungen, Fehlhaltungen, muskuläre Verhärtungen, Spannungsschmerzen und andere Funktionsstörungen. Um unangenehme Gefühlsempfindungen zu vermeiden, wenden wir uns also nicht nur von auslösenden Vorstellungen und äußeren Situationen ab, sondern panzern - um mit W. Reich zu sprechen - regelrecht unseren Körper. Dann hat er die seelischen Lasten zu tragen, die dem Bewusstsein zu schwer erscheinen. Vom Körper wird in diesen Fällen kaum noch die Aufnahme positiver Empfindungen erwartet, sondern nur noch die negativer. Dadurch verringern sich naturgemäß Lebendigkeit und Lebensqualität.


Die Wirkungsweise der Ganzheitlichen Atemtherapie
 
Die therapeutisch geförderte Empfindungsbewusstheit, die Harmonisierung der Atmung und das Durchlässigwerden der Körperpanzerung lässt die abgelehnten Inhalte nun ins Bewusstsein treten, wodurch sie der Reflexion und Integration zugänglich werden. Damit bietet die Ganzheitliche Atemtherapie die Möglichkeit, das Bewusstsein auf allen Ebenen zu erweitern, die körperlichen und seelischen Realitäten erfahrbar zu machen, belastende körperliche Spannungszustände zu beseitigen, abwehrbedingte Energieverschwendung zu vermeiden und die Entfaltung der Persönlichkeit zu fördern. 


Der methodische Vorteil 
 
Indem wir die Empfindung ansprechen, gewinnen wir den Vorteil direkter Erfahrung. Die individuelle Verfassung wird nicht bloß gedacht oder beurteilt, sondern konkret körperlich erlebt. Die Ansprache der Körperempfindung und der kontinuierliche Bezug auf sie, bietet eine Gewähr dafür, sich nicht in Spekulationen und Fiktionen zu verlieren. Weil die wahrhaft handlungsleitenden Einstellungen tief im Körperlichen verwurzelt sind, werden sie durch atem-therapeutische Methoden der Veränderung zugänglich.
Würden wir aber ausschließlich mit der Empfindung arbeiten, käme das geistige Wesen des Menschen zu kurz. Die durch unsere Arbeit ausgelösten Gefühle und Gedanken gehören demgegenüber zur menschlichen Ganzheit und werden im therapeutischen Miteinander gefühlt und gedacht sowie gefühlsmäßig und gedanklich reflektiert. Auf dieser Stufe unserer Arbeit hat die Empfindung nicht mehr die Priorität. Und doch werden die geistigen Inhalte immer wieder mit der leiblichen Empfindung in Beziehung gesetzt.